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Meilenstein bei der chemischen Untersuchung superschwerer Elemente erreicht

Erste Verbindung zwischen einem superschweren Element und Kohlenstoff hergestellt – Effekt der Relativitätstheorie auf die Chemie kann nun genauer untersucht werden

Einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Forschergruppen aus Mainz und Darmstadt ist am japanischen RIKEN Nishina Center die Synthese einer neuen Klasse chemischer Verbindungen superschwerer Elemente gelungen. Diese beinhalten erstmals eine chemische Bindung zwischen einem superschweren Element – hier dem Seaborgium (Element 106) – und Kohlenstoffatomen. Achtzehn Seaborgium-Atome reagierten mit Kohlenstoffmonoxid zu Seaborgiumhexacarbonyl, in welchem sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle an das Seaborgium binden. Die Gasphaseneigenschaften und das Adsorptionsverhalten auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und mit denjenigen der Hexacarbonylkomplexe von Molybdän und Wolfram, die Nachbarn von Seaborgium in derselben Gruppe des Periodensystems sind, verglichen. Die Arbeiten eröffnen Perspektiven für sehr viel detailliertere Untersuchungen der chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems, in denen der Einfluss der Relativitätstheorie auf chemische Eigenschaften am ausgeprägtesten ist.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen – mit Ordnungszahlen jenseits von 104 – stellen eine grosse Herausforderung dar: erst muss das zu untersuchende Element künstlich an einem Teilchenbeschleuniger hergestellt werden. Die Produktionsraten liegen bei höchstens einigen Atomen pro Tag, bei den schwersten dieser Elemente sogar noch darunter. Hinzu kommt, dass die Atome instabil sind – in der aktuellen Arbeit betrugen die Lebensdauern nur etwa 10 Sekunden. Warum untersuchen die Wissenschaftler trotzdem mit viel Aufwand ihr chemisches Verhalten? Hauptgrund ist, dass die vielen positiv geladenen Protonen im Atomkern die Elektronen in der Atomhülle auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigen – etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Gemäss der Einstein'schen Relativitätstheorie werden die Elektronen dadurch schwerer, als wenn sie in Ruhe sind. In der Folge unterscheiden sich ihre Aufenthaltsorte in der Atomhülle von denjenigen der entsprechenden Elektronen in leichteren Elementen, in denen die Elektronen deutlich langsamer sind. Diese Effekte sind voraussichtlich am deutlichsten bei vergleichenden Untersuchungen sogenannt homologer Elementen zu beobachten. Homologe besitzen eine ähnliche Struktur in ihrer Atomhülle und stehen in derselben Gruppe des Periodensystems. Solche Studien geben Zugang zu den fundamentalen Pfeilern des Periodensystems der Elemente – dem grundlegenden Ordnungsschema der Elemente für Chemiker in aller Welt.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen werden oft mit Verbindungen durchgeführt, die schon bei vergleichsweise geringen Temperaturen gasförmig sind. Dies erlaubt einen einfachen Transport in der Gasphase. Für schnelle Untersuchungen, wie sie angesichts der kurzen Lebensdauern zwingend sind, ist dies vorteilhaft. Bisher wurden dafür oft Verbindungen mit Halogenen und mit Sauerstoff ausgewählt; beispielsweise wurde Seaborgium als Molekül mit zwei Chlor- und zwei Sauerstoffatomen – eine sehr stabile Verbindungen hoher Flüchtigkeit – untersucht. Allerdings sind alle Bindungen in solchen Molekülen kovalenter Natur, und der Einfluss relativistischer Effekte ist möglicherweise kaum mehr sichtbar. Die Suche nach neuartigen Systemen mit anderen Bindungsverhältnissen, in denen relativistische Effekte klarer zum Ausdruck kommen könnten, dauerte deshalb über die Jahre an.

 

Vorbereitend für die aktuellen Experimente entwickelten die Superschwere-Elemente-Chemie-Arbeitsgruppen im Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz, des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) und des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt, in Zusammenarbeit mit Schweizer Kollegen vom Paul Scherrer Institut, Villigen und der Universität Bern eine neuartige Experimentmethode. Diese erlaubt erstmals auch Studien mit einzelnen kurzlebigen Atomen in chemischen Verbindungen, die weniger stabil sind und beispielsweise Koordinationsbindungen enthalten. Erste Testexperimente am Forschungsreaktor TRIGA Mainz waren inbesondere mit kurzlebigen Molybdänatomen erfolgreich. Die Methode wurde an der Universität Bern und in Beschleunigerexperimenten an der GSI weiterentwickelt. Dr. Alexander Yakushev von der GSI-Gruppe erläutert: "Eine grosse Herausforderung in solchen Experimenten ist der intensive Ionenstrahl des Beschleunigers, der auch moderat stabile chemische Verbindungen zerstört. Um dies zu verhindern, wurden Wolframatome – die schwereren Brüder des Molybdäns – erst im gas-gefüllten TASCA-Separator an der GSI vom Strahl abgetrennt. Die Chemieexperimente wurden dann hinter TASCA durchgeführt, unter idealen Bedingungen für die Untersuchungen der neuen Verbindungen." Das Augenmerk lag auf der Bildung von Hexacarbonyl-Komplexen. Theoretische Arbeiten, die in den 1990-er Jahren begannen, sagten vorher, dass Seaborgium relative stabile solche Komplexe bilden sollte. An die sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle ist das Seaborgium durch Metall-Kohlenstoffbindungen, wie sie auch für die organometallischen Verbindungen typisch sind, gebunden. Viele solche Verbindungen weisen die gewünschte Bindungssituation auf, von der die Schwerelementechemiker lange geträumt hatten.

 

Die Schwerelementegruppe am RIKEN Nishina Center (RNC) in Japan optimierte die Produktion des Seaborgiums in der Kernfusion eines Neon-Ionenstrahls (Element 10) mit einem Curium Target (Element 96) und die Abtrennung des Seaborgiums in ihrem gas-gefüllten Separator GARIS. Dr. Hiromitsu Haba, der Leiter des Teams bei RIKEN, erläutert: "In der konventionellen Herangehensweise zur Produktion superschwerer Elemente wird der zweifelsfreie Nachweis einzelner Atome der superschweren Elemente wie des Seaborgiums oft durch viele unerwünschte Reaktionsprodukte unmöglich gemacht. Die Verwendung von GARIS erlaubte uns schliesslich, Signale von Seaborgium und damit seine Produktionsrate und die Zerfallseigenschaften zu messen. GARIS eröffnete damit die Möglichkeit, neuartige chemische Studien mit Seaborgium in Angriff zu nehmen."

In 2013 untersuchten die beiden Teams, zusammen mit Kollegen aus der Schweiz, aus Japan, den USA und China in Experimenten am RNC, ob sie Verbindungen wie Seaborgium Hexacarbonyl synthetisieren könnten. Nach zwei Wochen Experimentzeit rund um die Uhr, in denen die deutsche Chemieapparatur an den japanischen Separator gekoppelt wurde, hatte das Team 18 Seaborgiumatome detektiert, die als flüchtige Carbonylkomplexe im Gasstrom transportiert werden konnten. Die Gasphaseneigenschaften sowie das Adsorptionsverhalten des Komplexes auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und waren ähnlich wie diejenigen der Hexacarbonyle von Seaborgiums leichteren Homologen Molybdän und Wolfram. Dies sind sehr charakteristische Verbindungen der Elemente in der sechsten Gruppe des Periodensystems. Die gemessenen Eigenschaften sind im Einklang mit theoretischen Rechnungen, in welchen die Effekte der Relativität mit berücksichtigt sind.

 

Dr. Hideto En'yo, der Direktor des RNC führt aus: "Der Durchbruch, der in diesem Experiment erzielt wurde, wäre ohne die enge Zusammenarbeit der vierzehn Forschungszentren aus aller Welt unmöglich gewesen." Prof. Frank Maas, der Direktor des HIM sagt: "Das Experiment stellt einen Meilenstein der chemischen Untersuchungen  superschwerer Elemente dar. Die Forscher zeigten, dass viele neue Verbindungen dieser Elemente in Reichweite der neuartigen Experimenttechniken sind. Die Perspektiven, die sich für die Untersuchung der chemischen Bindung, nicht nur in den superschweren Elementen, eröffnen, sind faszinierend".

 

Nach diesem ersten erfolgreichen Schritt auf dem Weg zu detaillierteren Untersuchungen der superschweren Elemente schmiedet das Team bereits Pläne für weitere Studien anderer neuer Verbindungen, auch von noch schwereren Elementen als dem Seaborgium. Einstein könnte bald die Karten in seiner Hand, mit denen er die chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems beeinflusst, auf den Tisch legen müssen.

Meilenstein bei der chemischen Untersuchung superschwerer Elemente erreicht

Erste Verbindung zwischen einem superschweren Element und Kohlenstoff hergestellt – Effekt der Relativitätstheorie auf die Chemie kann nun genauer untersucht werden

Einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Forschergruppen aus Mainz und Darmstadt ist am japanischen RIKEN Nishina Center die Synthese einer neuen Klasse chemischer Verbindungen superschwerer Elemente gelungen. Diese beinhalten erstmals eine chemische Bindung zwischen einem superschweren Element – hier dem Seaborgium (Element 106) – und Kohlenstoffatomen. Achtzehn Seaborgium-Atome reagierten mit Kohlenstoffmonoxid zu Seaborgiumhexacarbonyl, in welchem sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle an das Seaborgium binden. Die Gasphaseneigenschaften und das Adsorptionsverhalten auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und mit denjenigen der Hexacarbonylkomplexe von Molybdän und Wolfram, die Nachbarn von Seaborgium in derselben Gruppe des Periodensystems sind, verglichen. Die Arbeiten eröffnen Perspektiven für sehr viel detailliertere Untersuchungen der chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems, in denen der Einfluss der Relativitätstheorie auf chemische Eigenschaften am ausgeprägtesten ist.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen – mit Ordnungszahlen jenseits von 104 – stellen eine grosse Herausforderung dar: erst muss das zu untersuchende Element künstlich an einem Teilchenbeschleuniger hergestellt werden. Die Produktionsraten liegen bei höchstens einigen Atomen pro Tag, bei den schwersten dieser Elemente sogar noch darunter. Hinzu kommt, dass die Atome instabil sind – in der aktuellen Arbeit betrugen die Lebensdauern nur etwa 10 Sekunden. Warum untersuchen die Wissenschaftler trotzdem mit viel Aufwand ihr chemisches Verhalten? Hauptgrund ist, dass die vielen positiv geladenen Protonen im Atomkern die Elektronen in der Atomhülle auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigen – etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Gemäss der Einstein'schen Relativitätstheorie werden die Elektronen dadurch schwerer, als wenn sie in Ruhe sind. In der Folge unterscheiden sich ihre Aufenthaltsorte in der Atomhülle von denjenigen der entsprechenden Elektronen in leichteren Elementen, in denen die Elektronen deutlich langsamer sind. Diese Effekte sind voraussichtlich am deutlichsten bei vergleichenden Untersuchungen sogenannt homologer Elementen zu beobachten. Homologe besitzen eine ähnliche Struktur in ihrer Atomhülle und stehen in derselben Gruppe des Periodensystems. Solche Studien geben Zugang zu den fundamentalen Pfeilern des Periodensystems der Elemente – dem grundlegenden Ordnungsschema der Elemente für Chemiker in aller Welt.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen werden oft mit Verbindungen durchgeführt, die schon bei vergleichsweise geringen Temperaturen gasförmig sind. Dies erlaubt einen einfachen Transport in der Gasphase. Für schnelle Untersuchungen, wie sie angesichts der kurzen Lebensdauern zwingend sind, ist dies vorteilhaft. Bisher wurden dafür oft Verbindungen mit Halogenen und mit Sauerstoff ausgewählt; beispielsweise wurde Seaborgium als Molekül mit zwei Chlor- und zwei Sauerstoffatomen – eine sehr stabile Verbindungen hoher Flüchtigkeit – untersucht. Allerdings sind alle Bindungen in solchen Molekülen kovalenter Natur, und der Einfluss relativistischer Effekte ist möglicherweise kaum mehr sichtbar. Die Suche nach neuartigen Systemen mit anderen Bindungsverhältnissen, in denen relativistische Effekte klarer zum Ausdruck kommen könnten, dauerte deshalb über die Jahre an.

 

Vorbereitend für die aktuellen Experimente entwickelten die Superschwere-Elemente-Chemie-Arbeitsgruppen im Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz, des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) und des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt, in Zusammenarbeit mit Schweizer Kollegen vom Paul Scherrer Institut, Villigen und der Universität Bern eine neuartige Experimentmethode. Diese erlaubt erstmals auch Studien mit einzelnen kurzlebigen Atomen in chemischen Verbindungen, die weniger stabil sind und beispielsweise Koordinationsbindungen enthalten. Erste Testexperimente am Forschungsreaktor TRIGA Mainz waren inbesondere mit kurzlebigen Molybdänatomen erfolgreich. Die Methode wurde an der Universität Bern und in Beschleunigerexperimenten an der GSI weiterentwickelt. Dr. Alexander Yakushev von der GSI-Gruppe erläutert: "Eine grosse Herausforderung in solchen Experimenten ist der intensive Ionenstrahl des Beschleunigers, der auch moderat stabile chemische Verbindungen zerstört. Um dies zu verhindern, wurden Wolframatome – die schwereren Brüder des Molybdäns – erst im gas-gefüllten TASCA-Separator an der GSI vom Strahl abgetrennt. Die Chemieexperimente wurden dann hinter TASCA durchgeführt, unter idealen Bedingungen für die Untersuchungen der neuen Verbindungen." Das Augenmerk lag auf der Bildung von Hexacarbonyl-Komplexen. Theoretische Arbeiten, die in den 1990-er Jahren begannen, sagten vorher, dass Seaborgium relative stabile solche Komplexe bilden sollte. An die sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle ist das Seaborgium durch Metall-Kohlenstoffbindungen, wie sie auch für die organometallischen Verbindungen typisch sind, gebunden. Viele solche Verbindungen weisen die gewünschte Bindungssituation auf, von der die Schwerelementechemiker lange geträumt hatten.

 

Die Schwerelementegruppe am RIKEN Nishina Center (RNC) in Japan optimierte die Produktion des Seaborgiums in der Kernfusion eines Neon-Ionenstrahls (Element 10) mit einem Curium Target (Element 96) und die Abtrennung des Seaborgiums in ihrem gas-gefüllten Separator GARIS. Dr. Hiromitsu Haba, der Leiter des Teams bei RIKEN, erläutert: "In der konventionellen Herangehensweise zur Produktion superschwerer Elemente wird der zweifelsfreie Nachweis einzelner Atome der superschweren Elemente wie des Seaborgiums oft durch viele unerwünschte Reaktionsprodukte unmöglich gemacht. Die Verwendung von GARIS erlaubte uns schliesslich, Signale von Seaborgium und damit seine Produktionsrate und die Zerfallseigenschaften zu messen. GARIS eröffnete damit die Möglichkeit, neuartige chemische Studien mit Seaborgium in Angriff zu nehmen."

In 2013 untersuchten die beiden Teams, zusammen mit Kollegen aus der Schweiz, aus Japan, den USA und China in Experimenten am RNC, ob sie Verbindungen wie Seaborgium Hexacarbonyl synthetisieren könnten. Nach zwei Wochen Experimentzeit rund um die Uhr, in denen die deutsche Chemieapparatur an den japanischen Separator gekoppelt wurde, hatte das Team 18 Seaborgiumatome detektiert, die als flüchtige Carbonylkomplexe im Gasstrom transportiert werden konnten. Die Gasphaseneigenschaften sowie das Adsorptionsverhalten des Komplexes auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und waren ähnlich wie diejenigen der Hexacarbonyle von Seaborgiums leichteren Homologen Molybdän und Wolfram. Dies sind sehr charakteristische Verbindungen der Elemente in der sechsten Gruppe des Periodensystems. Die gemessenen Eigenschaften sind im Einklang mit theoretischen Rechnungen, in welchen die Effekte der Relativität mit berücksichtigt sind.

 

Dr. Hideto En'yo, der Direktor des RNC führt aus: "Der Durchbruch, der in diesem Experiment erzielt wurde, wäre ohne die enge Zusammenarbeit der vierzehn Forschungszentren aus aller Welt unmöglich gewesen." Prof. Frank Maas, der Direktor des HIM sagt: "Das Experiment stellt einen Meilenstein der chemischen Untersuchungen  superschwerer Elemente dar. Die Forscher zeigten, dass viele neue Verbindungen dieser Elemente in Reichweite der neuartigen Experimenttechniken sind. Die Perspektiven, die sich für die Untersuchung der chemischen Bindung, nicht nur in den superschweren Elementen, eröffnen, sind faszinierend".

 

Nach diesem ersten erfolgreichen Schritt auf dem Weg zu detaillierteren Untersuchungen der superschweren Elemente schmiedet das Team bereits Pläne für weitere Studien anderer neuer Verbindungen, auch von noch schwereren Elementen als dem Seaborgium. Einstein könnte bald die Karten in seiner Hand, mit denen er die chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems beeinflusst, auf den Tisch legen müssen.

Meilenstein bei der chemischen Untersuchung superschwerer Elemente erreicht

Erste Verbindung zwischen einem superschweren Element und Kohlenstoff hergestellt – Effekt der Relativitätstheorie auf die Chemie kann nun genauer untersucht werden

Einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Forschergruppen aus Mainz und Darmstadt ist am japanischen RIKEN Nishina Center die Synthese einer neuen Klasse chemischer Verbindungen superschwerer Elemente gelungen. Diese beinhalten erstmals eine chemische Bindung zwischen einem superschweren Element – hier dem Seaborgium (Element 106) – und Kohlenstoffatomen. Achtzehn Seaborgium-Atome reagierten mit Kohlenstoffmonoxid zu Seaborgiumhexacarbonyl, in welchem sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle an das Seaborgium binden. Die Gasphaseneigenschaften und das Adsorptionsverhalten auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und mit denjenigen der Hexacarbonylkomplexe von Molybdän und Wolfram, die Nachbarn von Seaborgium in derselben Gruppe des Periodensystems sind, verglichen. Die Arbeiten eröffnen Perspektiven für sehr viel detailliertere Untersuchungen der chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems, in denen der Einfluss der Relativitätstheorie auf chemische Eigenschaften am ausgeprägtesten ist.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen – mit Ordnungszahlen jenseits von 104 – stellen eine grosse Herausforderung dar: erst muss das zu untersuchende Element künstlich an einem Teilchenbeschleuniger hergestellt werden. Die Produktionsraten liegen bei höchstens einigen Atomen pro Tag, bei den schwersten dieser Elemente sogar noch darunter. Hinzu kommt, dass die Atome instabil sind – in der aktuellen Arbeit betrugen die Lebensdauern nur etwa 10 Sekunden. Warum untersuchen die Wissenschaftler trotzdem mit viel Aufwand ihr chemisches Verhalten? Hauptgrund ist, dass die vielen positiv geladenen Protonen im Atomkern die Elektronen in der Atomhülle auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigen – etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Gemäss der Einstein'schen Relativitätstheorie werden die Elektronen dadurch schwerer, als wenn sie in Ruhe sind. In der Folge unterscheiden sich ihre Aufenthaltsorte in der Atomhülle von denjenigen der entsprechenden Elektronen in leichteren Elementen, in denen die Elektronen deutlich langsamer sind. Diese Effekte sind voraussichtlich am deutlichsten bei vergleichenden Untersuchungen sogenannt homologer Elementen zu beobachten. Homologe besitzen eine ähnliche Struktur in ihrer Atomhülle und stehen in derselben Gruppe des Periodensystems. Solche Studien geben Zugang zu den fundamentalen Pfeilern des Periodensystems der Elemente – dem grundlegenden Ordnungsschema der Elemente für Chemiker in aller Welt.

 

Chemieexperimente mit superschweren Elementen werden oft mit Verbindungen durchgeführt, die schon bei vergleichsweise geringen Temperaturen gasförmig sind. Dies erlaubt einen einfachen Transport in der Gasphase. Für schnelle Untersuchungen, wie sie angesichts der kurzen Lebensdauern zwingend sind, ist dies vorteilhaft. Bisher wurden dafür oft Verbindungen mit Halogenen und mit Sauerstoff ausgewählt; beispielsweise wurde Seaborgium als Molekül mit zwei Chlor- und zwei Sauerstoffatomen – eine sehr stabile Verbindungen hoher Flüchtigkeit – untersucht. Allerdings sind alle Bindungen in solchen Molekülen kovalenter Natur, und der Einfluss relativistischer Effekte ist möglicherweise kaum mehr sichtbar. Die Suche nach neuartigen Systemen mit anderen Bindungsverhältnissen, in denen relativistische Effekte klarer zum Ausdruck kommen könnten, dauerte deshalb über die Jahre an.

 

Vorbereitend für die aktuellen Experimente entwickelten die Superschwere-Elemente-Chemie-Arbeitsgruppen im Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz, des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) und des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt, in Zusammenarbeit mit Schweizer Kollegen vom Paul Scherrer Institut, Villigen und der Universität Bern eine neuartige Experimentmethode. Diese erlaubt erstmals auch Studien mit einzelnen kurzlebigen Atomen in chemischen Verbindungen, die weniger stabil sind und beispielsweise Koordinationsbindungen enthalten. Erste Testexperimente am Forschungsreaktor TRIGA Mainz waren inbesondere mit kurzlebigen Molybdänatomen erfolgreich. Die Methode wurde an der Universität Bern und in Beschleunigerexperimenten an der GSI weiterentwickelt. Dr. Alexander Yakushev von der GSI-Gruppe erläutert: "Eine grosse Herausforderung in solchen Experimenten ist der intensive Ionenstrahl des Beschleunigers, der auch moderat stabile chemische Verbindungen zerstört. Um dies zu verhindern, wurden Wolframatome – die schwereren Brüder des Molybdäns – erst im gas-gefüllten TASCA-Separator an der GSI vom Strahl abgetrennt. Die Chemieexperimente wurden dann hinter TASCA durchgeführt, unter idealen Bedingungen für die Untersuchungen der neuen Verbindungen." Das Augenmerk lag auf der Bildung von Hexacarbonyl-Komplexen. Theoretische Arbeiten, die in den 1990-er Jahren begannen, sagten vorher, dass Seaborgium relative stabile solche Komplexe bilden sollte. An die sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle ist das Seaborgium durch Metall-Kohlenstoffbindungen, wie sie auch für die organometallischen Verbindungen typisch sind, gebunden. Viele solche Verbindungen weisen die gewünschte Bindungssituation auf, von der die Schwerelementechemiker lange geträumt hatten.

 

Die Schwerelementegruppe am RIKEN Nishina Center (RNC) in Japan optimierte die Produktion des Seaborgiums in der Kernfusion eines Neon-Ionenstrahls (Element 10) mit einem Curium Target (Element 96) und die Abtrennung des Seaborgiums in ihrem gas-gefüllten Separator GARIS. Dr. Hiromitsu Haba, der Leiter des Teams bei RIKEN, erläutert: "In der konventionellen Herangehensweise zur Produktion superschwerer Elemente wird der zweifelsfreie Nachweis einzelner Atome der superschweren Elemente wie des Seaborgiums oft durch viele unerwünschte Reaktionsprodukte unmöglich gemacht. Die Verwendung von GARIS erlaubte uns schliesslich, Signale von Seaborgium und damit seine Produktionsrate und die Zerfallseigenschaften zu messen. GARIS eröffnete damit die Möglichkeit, neuartige chemische Studien mit Seaborgium in Angriff zu nehmen."

In 2013 untersuchten die beiden Teams, zusammen mit Kollegen aus der Schweiz, aus Japan, den USA und China in Experimenten am RNC, ob sie Verbindungen wie Seaborgium Hexacarbonyl synthetisieren könnten. Nach zwei Wochen Experimentzeit rund um die Uhr, in denen die deutsche Chemieapparatur an den japanischen Separator gekoppelt wurde, hatte das Team 18 Seaborgiumatome detektiert, die als flüchtige Carbonylkomplexe im Gasstrom transportiert werden konnten. Die Gasphaseneigenschaften sowie das Adsorptionsverhalten des Komplexes auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und waren ähnlich wie diejenigen der Hexacarbonyle von Seaborgiums leichteren Homologen Molybdän und Wolfram. Dies sind sehr charakteristische Verbindungen der Elemente in der sechsten Gruppe des Periodensystems. Die gemessenen Eigenschaften sind im Einklang mit theoretischen Rechnungen, in welchen die Effekte der Relativität mit berücksichtigt sind.

 

Dr. Hideto En'yo, der Direktor des RNC führt aus: "Der Durchbruch, der in diesem Experiment erzielt wurde, wäre ohne die enge Zusammenarbeit der vierzehn Forschungszentren aus aller Welt unmöglich gewesen." Prof. Frank Maas, der Direktor des HIM sagt: "Das Experiment stellt einen Meilenstein der chemischen Untersuchungen  superschwerer Elemente dar. Die Forscher zeigten, dass viele neue Verbindungen dieser Elemente in Reichweite der neuartigen Experimenttechniken sind. Die Perspektiven, die sich für die Untersuchung der chemischen Bindung, nicht nur in den superschweren Elementen, eröffnen, sind faszinierend".

 

Nach diesem ersten erfolgreichen Schritt auf dem Weg zu detaillierteren Untersuchungen der superschweren Elemente schmiedet das Team bereits Pläne für weitere Studien anderer neuer Verbindungen, auch von noch schwereren Elementen als dem Seaborgium. Einstein könnte bald die Karten in seiner Hand, mit denen er die chemischen Eigenschaften der Elemente am Ende des Periodensystems beeinflusst, auf den Tisch legen müssen.

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